Donnerstag, 19. Mai 2016

Anfrage von "Neues Deutschland"

Sehr geehrter Herr Maier,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ihre Fragen bzw. deren Beantwortung sind zu komplex, um hier mit einem schlagfertigen Dreizeiler ein belastbares Statement machen zu können.
Grundsätzlich halten wir es  wenig sinnig, im politischen Diskurs ganzen Gruppierungen einfach ein „Etikett“ zu verpassen. Selbst wenn Menschen oder Gruppierungen eindeutig an antisemitische Ressentiments anknüpfen  oder diese befeuern (was häufiger vorkommt, als man denkt), hat man es nicht gleich mit   „Antisemiten“ oder „antisemitischen Gruppen“ zu tun.
Bei BDS handelt es sich um eine Bewegung weltweit, der die Abgrenzung zu gewalttätigen Aktionen (
wie etwa gegen Soda-Stream in England) gelinde gesagt „nicht immer gelang“. Damit bin ich schon gleich bei der Beantwortung der
Frage zwei:
Wir finden es in jedem Falle besser, in Diskussionsrunden kontrovers, hitzig und engagiert zu streiten als Gewalt gegen Personen und Sachen auszuüben. Wir sind aber realistisch und erwarten durch solche Diskussionsrunden keine Annäherung in der Sache. Zudem bleibt es für uns  zweifelhaft, ob das „Diskussionsangebot“ von BDS Berlin tatsächlich ein Zugehen auf deren Kritiker bedeutet.
Zur Frage eins:

Wir sind uns nicht sicher, ob Sie von uns speziell ein Statement zu BDS „Berlin“ (wie in Ihrem ersten Satz) oder zu BDS (im allgemeinen Sinn, wie in Frage eins) haben wollen.
Zunächst einmal halten wir es mit einem der prominentesten Kritiker Israels und deren „Besatzungspolitik“, Noam Chomsky, der schlichtweg diagnostiziert/prognostiziert, dass BDS nicht
erfolgversprechend  ist. Wir würden noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass die BDS-Bewegung der palästinensischen Zivilbevölkerung schadet und sogar ein weiteres Hindernis für das Zustandekommen einer Zweistaatenlösung ist.
Auf den Webseiten von
BDS Berlin fällt dann auf, dass dem jüdischen Staat plakativ Kolonisation und Apartheid unterstellt werden. Selbst in der Einladung zur Diskussionsrunde, verdeutlicht BDS Berlin noch mal, dass man den jüdischen Staat an den Pranger („anprangern“)  stellen will. Des Weiteren behauptet man,  im Namen der „palästinensischen Zivilgesellschaft“ zu agieren.
Wir halten weder den Vorwurf der Kolonisation, noch der Apartheid für begründet, und wir würden der BDS schlichtweg absprechen, im Namen der palästinensischen Zivilgesellschaft zu handeln.
Durch die Verwendung von „Kolonisation“ und  „Apartheid“  und dem  Vergleich mit Südafrika, verbunden mit einer latent bis offenen monokausalen Erklärungsweise des „Nahostkonflikts“, wird aus unserer Sicht der jüdische Staat (im Ergebnis) dämonisiert.
BDS Berlin sieht die BDS-Bewegung als  selbstverständlichen Bestandteil „emanzipatorischer Bewegungen“. Gleichzeitig wird der einzige Staat im Nahen Osten, der für emanzipatorische Werte (wie z.B.  sexuelle Selbstbestimmung) steht, an den Pranger gestellt. Eine emanzipatorische Bewegung müsste einen Staat, der emanzipatorische Werte gewährleistet, indes mehr loben als anprangern. In der Fixierung auf  ein Negativbild von Israel  kommt es zu einer Unverhältnismäßigkeit.
Sowohl Dämonisierung als auch Unverhältnismäßigkeit sind aber in Hinblick auf den jüdischen Staat wiederum Indikatoren für zugrundeliegende „antisemitische Denkmuster“.
Um allerdings eine ganze Bewegung international oder (auf Berlin bezogen) lokal als „antisemitisch“ bezeichnen zu können, dazu müssten wir uns einen Überblick über alle Publikationen und Äußerungen verschaffen und diese auswerten.
Im Moment könnten wir jedoch soweit gehen zu sagen, dass das Auftreten von BDS  zum Teil (und sei es nur nach  einem  oberflächlichen Blick in den Internetauftritt von BDS Berlin) durchaus die auch in der deutschen Bevölkerung vorhandenen antisemitischen Ressentiments bestärkt.
Dies allein wäre für uns ein Grund, mit BDS-nahen Gruppierungen KEINE  Allianzen zu bilden. Dazu ist es unserer Ansicht nach gar nicht nötig, die Bewegung pauschal als „antisemitisch“ zu bezeichnen.
Auf der anderen Seite würden wir durchaus mit BDS-Vertretern – anders als bei  ausgesprochenen Antisemiten (Holocaustleugnern, Verschwörungstheoretikern)- in einen Diskurs treten.

Soviel auf die Schnelle und in einer Kürze, die – ich muss das noch mal betonen- der Komplexität der BDS-Bewegung gesamt-  sicher nicht gerecht werden kann.

Mit freundlichen Grüßen
PRO-ISRAEL-INITIATIVE „NEVERAGAIN“
...

Von: Tobias Maier
Gesendet: Mittwoch, 18. Mai 2016 08:14An: neveragain06@hotmail.deBetreff: Statement zu BDS Berlin


Hallo Never Again, 
habt ihr Interesse euch im nd zu BDS Berlin zu äußern? 
Nach den Handgreiflichkeiten am Nakba-Tag und dem Austritt der ökologischen Linken aus dem “Revolutionären 1.Mai Bündnis” hat BDS Berlin für kommenden Sonntag eine offene Diskussionsrunde mit kritischen TeilnehmerInnen angekündigt.  
Von euch würde ich gern folgendes wissen: 
1) Wie verortet ihr den BDS politisch? Handelt es sich um eine antisemitische Bewegung und wenn ja: Warum?  
2) Haltet ihr es für sinnvoll in der aktuellen Situation eine solche Diskussionsrunde zu veranstalten? 
Freundlichen Gruß, 
Tobias Maier
neues deutschland